Grenzen des autonomen Wiederhochfahrens Österreichs unter Berücksichtigung von internationalen Lieferverflechtungen

Mag. Dr. Wolfgang Schwarzbauer
Leiter des Forschungsbereichs regionale Wirtschaftspolitik und Außenwirtschaft

Die COVID-19 Krise, ausgelöst durch den globalen Ausbruch der Pandemie und der als Reaktion eingeleiteten Maßnahmen der Regierungen vieler Staaten in Form von Lockdowns und anderer Beschränkungen, hatte dramatische Auswirkungen auf die globale Wirtschaft und den internationalen Handel.
Bei unterschiedlichen Artikeln und vor allem bei Schutzausrüstung für medizinisches Personal kam es im Zuge der Pandemie zu Engpässen. Dies zeigt wie stark vernetzt und spezialisiert die internationale Produktion bereits ist.

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Unsicherheit und gewisser Anstrengungen mit dem Ziel der „Re-Regionalisierung“ stellt sich die Frage, ob eine autonome Wirtschaftsentwicklung Österreichs – sowohl bei
potenziellen neuen Verschärfungen und Drosselungen der Produktion in einzelnen Partnerländern oder bei einer unterschiedlich schnellen globalen Lockerung – überhaupt möglich ist. Frühere Studien zeigen, dass
gerade Österreich als kleine, offene Volkswirtschaft in den letzten Jahrzehnten stark an der Globalisierung teilnehmen und von der Einbindung in globale Wertschöpfungsketten profitieren konnte.

Die vorliegende Studie geht detaillierter auf Fragen ein, die sich aufgrund der Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten für Österreich in Zeiten einer globalen Pandemie ergeben. Zum einen wird dargestellt,
zu welchem Grad die österreichische Volkswirtschaft hinsichtlich ihrer Versorgungssicherheit von ausländischer Wertschöpfung abhängig ist. Dies ist einerseits für die Versorgung der österreichischen Bevölkerung und Unternehmen notwendig und andererseits auch für eine potenzielle vom Inland ausgehende Wiederbelebung der Wirtschaft auf Basis von Konsum und Investitionen von Bedeutung. Zum anderen wird ermittelt, inwiefern die österreichische Exportwirtschaft von der Einbindung in globale Wertschöpfungsketten und damit vom internationalen Angebot an Vorleistungen und der internationalen Nachfrage nach Zwischen- und
Endprodukten abhängig ist.

Im Kontext der Versorgungssicherheit zeigt sich, dass die Endnachfrage in Österreich zu rund 30 Prozent von ausländischer Wertschöpfung abhängig ist. Eine besondere Rolle kommt hier Deutschland zu, speziell im
heimischen Konsum von Industrieprodukten und bei Investitionen in einzelnen Industriebranchen wie der Kraftfahrzeugherstellung. Auch sind ausländische Rohstoffe zur Befriedigung der Endnachfrage in Österreich essenziell, u.a. in der Energieversorgung.

Bei der Versorgungssicherheit privater Haushalte in Österreich ist die Abhängigkeit von ausländischer Wertschöpfung beim Konsum essenzieller Güter sehr hoch. So ist der Konsum von Produkten der Textilindustrie zu 98 Prozent von ausländischer Wertschöpfung abhängig, wobei hier neben Deutschland insbesondere Italien und China relevant sind. Auch der Konsum von Nahrungsmitteln und Landwirtschaftsprodukten hängt mit 69 bzw. 75 Prozent deutlich von ausländischer Wertschöpfung ab. Zudem ist die private (öffentliche) Endnachfrage nach pharmazeutischen Produkten mit 83 (92) Prozent maßgeblich auf ausländische Wertschöpfung angewiesen. Im Unterschied zu einer klassischen Betrachtung der Bruttoexporte wird bei Betrachtung der Wertschöpfung deutlich, dass neben ausländischen
Industriebranchen auch Dienstleistungsbranchen wie der Großhandel für die Versorgungssicherheit in Österreich zentral sind.

Darüber hinaus sind bei einer Betrachtung der Grenzen einer autonomen Wirtschaftsentwicklung auch die Vorleistungs- und  Weiterverarbeitungsverflechtungen der österreichischen Exportwirtschaft von Bedeutung. Die Bruttoexporte Österreichs bestehen zu 36 Prozent aus ausländischer Wertschöpfung in Form von importierten und weiterverarbeiteten Vorleistungen. Speziell in den Bruttoexporten der heimischen Industriebranchen, wie dem Kraftfahrzeugbau oder der Herstellung chemischer Produkte, ist die ausländische Wertschöpfung in Vorleistungen zentral und macht mehr als die Hälfte der Bruttoexporte aus. Bei der Weiterverarbeitung zeigt sich im Vergleich zu den Vorleistungsverflechtungen eine deutlich stärkere Orientierung an der EU/EFTA, deren Mitgliedsstaaten für rund 78 Prozent der Weiterverarbeitung
österreichischer Bruttoexporte verantwortlich sind. Hingegen stammen nur knapp 70 Prozent der in Vorleistungen enthaltenen Wertschöpfung aus der EU/EFTA.

Zudem ist die Endnachfrage im Ausland nach Konsum- und Investitionsgütern eine wichtige Determinante der österreichischen Wertschöpfung. Ein starker Nachfragerückgang im Ausland kann dazu führen, dass zu
gegebenen Preisen keine Endnachfrager gefunden werden können. Insbesondere die Herstellung von Spezialmaschinen, die rund 2,6 Prozent der gesamten österreichischen Wertschöpfung ausmacht, ist zu rund
86 Prozent von ausländischer Endnachfrage abhängig. Weitere Industriebranchen wie die Kraftfahrzeugherstellung oder die Metallerzeugung sind ebenso zu mehr als 80 Prozent auf die ausländische
Endnachfrage angewiesen. Des Weiteren trifft dies, wenn auch in geringerem Ausmaß, auf Dienstleistungsbranchen zu. Der Großhandel, der knapp 6 Prozent der gesamten österreichischen Wertschöpfung erzeugt, hängt zu 53 Prozent von ausländischer Endnachfrage ab.

Die Abhängigkeiten Österreichs von ausländischer Wertschöpfung im Bereich der Versorgungssicherheit, die Verflechtungen mit Vorleistungs- und Weiterverarbeitungsmärkten von Exporten sowie die Bedeutung ausländischer Endnachfragemärkte für die österreichische Wirtschaft zeigen, dass einer autonomen Wirtschaftsentwicklung Österreichs enge Grenzen gesetzt sind. Hierbei sind insbesondere Deutschland, Italien, die Schweiz, sowie die USA und China hervorzuheben.

Zum einen ist ein Großteil der konsumierten Wertschöpfung in essenziellen Gütern wie Kleidung, Nahrungsmitteln und Medizin vom Ausland abhängig. Speziell in der kurzen Frist ist eine autonome, heimische Produktion von essenziellen Gütern für den Endverbrauch nicht denkbar. Dies kann nur mittelfristig erfolgen, wenngleich auch hier negative Effekte zu berücksichtigen sind. Die Ressourcen in Österreich sind derzeit gemäß der Spezialisierungsstruktur eingesetzt. Eine Neuorientierung der heimischen Produktion würde auf Kosten der Exportspezialisierung und damit letztendlich der Wettbewerbsfähigkeit gehen. Dies trifft insbesondere auf eine kleine, exportorientierte Volkswirtschaft wie Österreich zu. Zudem sorgt die Integration in globale Wertschöpfungsketten für niedrigere Produktionskosten und damit niedrigere Preise für den Endnachfrager. Dies ist insbesondere auf einen stärkeren Wettbewerb in der Produktion und damit geringere Produktionskosten zurückzuführen. Eine Desintegration würde dementsprechend die Preise erhöhen.

Die Re-Regionalisierung der Produktion essenzieller Güter innerhalb nationaler Grenzen ist vor diesem Hintergrund nicht empfehlenswert. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen aber, dass die Verflechtungen der österreichischen Wirtschaft derzeit noch als stark europäisch geprägt einzuordnen sind. Mehr als 70 Prozent der in Österreich endnachgefragten ausländischen Wertschöpfung, sowie knapp 70 Prozent der in österreichischen Bruttoexporten enthaltenen ausländischen Wertschöpfung stammt aus Ländern der EU oder EFTA. Zudem finden rund 78 Prozent der Weiterverarbeitung österreichischer Bruttoexporte in der EU/EFTA statt. Vor diesem Hintergrund ist eine Re-Regionalisierung der Produktion essenzieller Güter innerhalb europäischer Grenzen im Rahmen von EU-weiten Kooperationen durchaus denkbar, um deren Bereitstellung auch in Zeiten einer Pandemie oder vergleichbaren Disruptionen globaler Wertschöpfungsketten zu gewährleisten. Aber auch dieses Vorhaben würde mit höheren volkswirtschaftlichen Kosten wie beispielsweise höheren Preisniveaus verbunden sein.