Konsolidierung der öffentlichen Finanzen nach der Corona-Krise – Berechnungsupdate

Mag. Ludwig Strohner
Leiter des Forschungsbereichs Öffentliche Finanzen

Die COVID-19-Krise und die Maßnahmen zur Eindämmung der Auswirkungen auf die Gesundheit, die Volkswirtschaft sowie die Einkommen der privaten Haushalte und Unternehmen lassen die öffentliche Verschuldung kräftig steigen. Hilfsprogramme und niedrigere Abgabeneinnahmen haben die Defizitquote beträchtlich erhöht. So belief sich die gesamtstaatliche Defizitquote nach Maastricht im Jahr 2020 auf 8,8 Prozent des BIP, nach einem Überschuss von 0,6 Prozent im Jahr 2019. Für das Jahr 2021 wird in der aktuellen Prognose des WIFO nochmals mit einem massiven Defizit von 6,6 Prozent gerechnet. Erst in den nachfolgenden Jahren sollte sich die Lage auch bei den öffentlichen Finanzen wieder etwas entspannen. Mit der Krise ist ein beträchtlicher Anstieg der öffentlichen Verschuldungsquote verbunden, die mit 83,5 Prozent des BIP im Jahr 2020 wiederum auf deutlich über 80 Prozent angezogen ist.

Vor der COVID-19-Pandemie wurde erwartet, dass die öffentliche Verschuldungsquote bis Mitte dieses Jahrzehnts noch merklich zurückgehen wird und auch unter die Maastricht-Grenze von 60 Prozent des BIP zum Liegen kommen könnte. Mit der COVID-19-Krise hat sich die Situation nun wieder verschärft. Auf das Auslaufen der Krise folgt fiskalisch zudem beinahe nahtlos die Herausforderung der Finanzierung der deutlich steigenden öffentlichen Pensionsausgaben aufgrund der demographischen Entwicklung. Darüber hinaus fallen auch in den Bereichen Gesundheit und Pflege deutliche Mehrausgaben an.

Im ersten Teil der Studie wird der Frage nachgegangen, wie sich auf Basis der geltenden Gesetzeslage sowie bereits beschlossener Reformen die öffentlichen Finanzen entwickeln werden. Unter Heranziehung des Generationenkonten-Modells „Schulden-Check“ erfolgt eine Projektion des gesamtstaatlichen Defizits und der öffentlichen Verschuldung bis zum Jahr 2060. Im Hauptszenario legt die Staatsschuldenquote bis zum Ende des Betrachtungszeitraums auf über 160 Prozent des BIP zu. Vor der COVID-19-Krise wurde mit demselben Modell noch ein Anstieg auf weniger als 140 Prozent projiziert. Die Verschuldungsquote hätte zwar mittelfristig, bis in die 2030er Jahre, das Maastricht-Kriterium erfüllt, auf sehr lange Frist war die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen aber auch ohne die COVID-19-Krise nicht gegeben. Derzeitig gilt dies nun noch weniger. Der projizierte kräftige Zuwachs der Verschuldung ist im Wesentlichen von drei großen Ausgabenbereichen getrieben. Dies sind die öffentlichen Pensions-, Gesundheits- und Pflegeausgaben. Die öffentlichen Einnahmen in Prozent des BIP werden sich im betrachteten Zeitraum relativ stabil entwickeln.

Unsicherheiten in Bezug auf die Entwicklung der treibenden Faktoren des Modells wird in dieser Studie mit Sensitivitätsanalysen Rechnung getragen. Würde die demographische Alterung gemäß dem Alterungsszenario der Bevölkerungsprognose von Statistik Austria kräftiger ausfallen als im Hauptszenario (geringere Fertilität, Zuwanderung und Sterblichkeit), dann würde die Verschuldung bis 2060 auf über 220 Prozent des BIP zulegen. Werden betraglich fixierte monetäre Transferleistungen zukünftig nur mit der Inflation erhöht, dann würde dies die öffentliche Verschuldungsquote bis 2060 um knapp 20 Prozentpunkte verringern. Damit ist aber ein erheblicher Bedeutungsverlust dieser Transfers für die privaten Haushalte im Vergleich zu Erwerbseinkommen verbunden. Einen deutlichen Einfluss auf die Verschuldungsdynamik hat die Zinsentwicklung, die zudem mit Unsicherheiten verbunden ist. Dauerhaft bis zum Ende des Betrachtungshorizonts niedrige Zinsen würden auf der einen Seite den Anstieg der Verschuldung auf etwa 110 Prozent des BIP begrenzen, wobei auch dieses Niveau noch einen erheblichen Zuwachs gegenüber der derzeitigen Situation darstellen würde. Auf der anderen Seite besteht das Risiko, dass der implizite Zinssatz für die öffentliche Verschuldung bereits früher wieder anzieht, als dies im Hauptszenario unterstellt wurde. Ginge in einer solchen Situation das Vertrauen der Märkte in die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen verloren und die Risikoprämie würde spürbar anziehen, dann könnte die Situation rasch außer Kontrolle geraten.

Die Analyse verdeutlicht, dass eine erhebliche Verbesserung des Primärsaldos notwendig ist, damit die Verschuldungsquote wieder auf den Maastricht-Referenzwert von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zurückgeführt werden kann. Der mittelfristige Nachhaltigkeits-Indikator S1 zeigt, dass der Primärsaldo um 1,7 Prozent des BIP höher als nach der rezenten mittelfristigen Wirtschaftsprognose des Wirtschaftsforschungsinstituts ausfallen müsste, damit dieses Ziel 15 Jahre nach Beginn der Konsolidierung erreicht werden kann. Dies entspricht einer über die Prognose hinausgehenden jährlichen Verbesserung des Primärsaldos in der Konsolidierungsphase von fünf Jahren von 0,3 Prozent des BIP. Der längerfristige Indikator S60 zeigt, dass die Konsolidierung sogar 2,7 Prozent des BIP betragen müsste, um im Jahr 2060 60 Prozent zu erreichen. Dies ergibt eine jährliche zusätzliche Verbesserung des Primärsaldos von 0,5 Prozentpunkten über fünf Jahre. Wird die Konsolidierungsperiode von fünf auf 10 Jahre ausgeweitet, dann fällt das jährliche Konsolidierungsausmaß zwar niedriger aus, die schlussendlich notwendige Verbesserung des Primärsaldos ist mit 2 Prozent beim S1 bzw. 2,9 Prozent beim S60 jedoch höher. Eine länger gestreckte Konsolidierungsperiode ist aber mit einem höheren Schuldenstand während der Konsolidierung verbunden. Vor dem Hintergrund, dass potenziell die Konsolidierung vor der nächsten Krise nicht abgeschlossen ist, kann dies kumulativ zu immer höherer Verschuldung führen. So wurde auch vor der COVID-19-Krise die Schuldenquote nicht auf unter 60 Prozent des BIP zurückgeführt.

Den Ergebnissen der wissenschaftlichen Literatur folgend, hängen die makroökonomischen Effekte ausgabenbasierter Konsolidierungsmaßnahmen davon ab, bei welchen Ausgaben angesetzt wird. So haben Maßnahmen bei laufenden Ausgaben geringere Auswirkungen auf die Produktion als bei öffentlichen Investitionen. Eine gut ausgebaute Infrastruktur ist einer der Eckpfeiler für die Standortattraktivität und bildet eine wesentliche Voraussetzung für private Investitionstätigkeit. Konsolidierungen sind dann nachhaltig erfolgreich, wenn sie an den Treibern der dynamischen Ausgabenentwicklung ansetzen.

Die internationalen Benchmarking-Analysen in der Studie zeigen, dass auf öffentliche Leistungen in Österreich vergleichsweise hohe Ausgaben, jedoch zugleich oft nur mittelmäßige Ergebnisse entfallen. Auf Grundlage von Ländervergleichen unter den EU-Mitgliedstaaten plus Norwegen, Schweiz, Großbritannien und Island wurde für die Bereiche der allgemeinen öffentlichen Verwaltung sowie des Schulwesens bis zur unteren Sekundarstufe ein Effizienzpotenzial in Höhe von 2,3 Mrd. Euro bis zu 6,5 Mrd. Euro identifiziert. Dabei wurden Effizienzpotenziale nach Maßgabe der relativen Effizienzabstände zu Ländern, die sowohl niedrigere oder höchstens gleich hohe Ausgaben und bessere oder zumindest gleich gute Ergebnisse aufweisen, ermittelt. Neben der internationalen Benchmarking-Betrachtung erfolgt eine Effizienzbetrachtung von staatlichen Ausgaben auf Bundesländerebene für die Bereiche öffentliche Verwaltung, allgemeinbildende Pflichtschulen, Kinderbetreuungswesen und Pflegedienstleistungen. Hier wurde ein Effizienzpotenzial von etwa 2,4 Mrd. Euro identifiziert. Die beiden Ansätze des internationalen Benchmarkings sowie des Bundesländer-Benchmarking sind methodisch nicht einheitlich und weisen Überlappungen auf. Die Ergebnisse sind damit nicht additiv, zeigen jedoch an, dass bei der Bereitstellung öffentlicher Leistungen in Österreich erhebliche Effizienzpotenziale bestehen.

Die Studie geht nicht der Frage nach, wie diese Effizienzpotenziale im Speziellen in den einzelnen Bereichen gehoben werden können. Jedoch verorten zahlreiche Studien die Verteilung der Aufgaben-, Ausgaben- und Finanzierungsverantwortung im Sinne einer fiskalischen Äquivalenz als einen wesentlichen Hebel zur Nutzung von Effizienzpotenzialen. Hervorzuheben ist, dass es bei der Hebung von Effizienzpotenzialen in erster Linie darum geht, die Organisation und Rahmenbedingungen zu verbessern und Verantwortlichkeiten zu stärken, und nicht darum, Leistungen zu kürzen. Internationale Betrachtungen weisen auch auf das Potenzial der Digitalisierung von öffentlichen Dienstleistungen hin. Mit Digital Government ist die Aussicht auf die Erhöhung der Effizienz nicht nur für die Verwaltung selbst, sondern auch für BürgerInnen und Unternehmen verbunden. Beispiele für digitale Verwaltungsleistungen zeigen Nutzungsmöglichkeiten und Anwendungsfelder auf.

Berücksichtigt man, dass der überwiegende Anteil der Nachhaltigkeitslücke auf steigende öffentliche Ausgaben durch die Alterung der Gesellschaft zurückzuführen ist, sollte auch ein längerer Verbleib von älteren Erwerbstätigen auf dem Arbeitsmarkt in den Fokus rücken. Dieser würde im Gegensatz zu anderen ausgabenbasierten Konsolidierungen das Wachstum sogar stärken. Auswirkungen auf die Pensionshöhen durch ein höheres gesetzliches Pensionsantrittsalter und entsprechende zusätzliche Abschläge durch Abweichung vom Regelpensionsalter würden durch ein höheres tatsächliches Pensionsantrittsalter abgefedert. Auch eine höhere Erwerbsbeteiligung bzw. eine höhere Vollzeitquote bei Frauen trägt dazu bei, die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen zu stärken.