Jährlich grüßen die Schulschließungen

Wir schreiben das dritte Schuljahr in der Pandemie. Rein rechnerisch sind zwar „erst“ 17 Monate vergangen, aber Kinder rechnen in Schuljahren. Kinder, für die in der ersten Klasse die Pandemie begonnen hat, starten diese Woche in ihr drittes Schuljahr. Das dritte Jahr, in dem wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen, die die Zukunft einer ganzen Generation prägen werden.

Die vergangenen Schulschließungen waren mit hohen Kosten für die betroffenen Schülerinnen und Schüler verbunden: Ganze Bildungslaufbahnen sind aus dem Gleichgewicht geraten. Eine Untersuchung zeigt, dass in der Pandemie 570 Jugendliche weniger als sonst eine Lehre begonnen haben. Die Daten zeigen ein Minus bei den Neueinsteigern in die BHS (-2,4 Prozent), die AHS-Oberstufen (-4,2 Prozent) und bei den Mittelschulen (-7,1 Prozent). Bei 3800 Jugendlichen weißt man offenbar nicht einmal, wo sie sich aufhalten und ob sie ihre Bildungskarriere vielleicht schon gänzlich abgebrochen haben. Es drohen langfristige Folgen: niedrigere Einkommen, schlechtere Gesundheit, mehr Abhängigkeit von Sozialhilfe, höhere Kriminalität. Und wie es auch die Ökonomen vorhersagten, traf die Pandemie besonders stark Kinder und Jugendliche aus finanziell schwachen und bildungsfernen Familien; die Kluft in den Chancen ist erneut weiter auseinandergeraten.

 „Normaler“ Unterricht muss Priorität haben! Aber die Situation ist noch komplizierter als 2020. Kinder und Jugendliche galten bis zur Impfung der Risikogruppen als deren größte Gefährder, die folglich solidarisch zu sein hatten – sie bezahlten dafür mit langfristigen Bildungs- und Einkommensverlusten und einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit. Mit der Impfung hat sich viel geändert: Nun sind Kinder unter 12 der Deltavariante ausgeliefert. Während sich fast alle anderen Bevölkerungsgruppen durch Impfungen vor schweren Krankheitsverläufen schützen können, stocken manche Bundesländer in Erwartung des Anstieges der Infektionen schon die Intensiv-Betten für Kinder auf. So stehen wir als Gesellschaft vor einer unmöglichen – und unerträglichen – Wahl zwischen Gesundheitsrisiken für die Kinder durch offene Schulen und langfristigen Folgen durch deren Schließung.

 

Es gibt ein wirksames Mittel, um die negativen Konsequenzen beider Varianten zumindest abzufedern: Es muss alles dazu getan werden, dass sich alle, für die die Impfungen zugelassen sind, nun auch wirklich impfen lassen. Eigentlich sollte das im Sinne der Solidarität – die so beharrlich ja bisher nur von Kindern und Jugendlichen verlangt wurde – auch für ältere Generationen selbstverständlich sein. Und wenn es das nicht ist, dann gehört über Anreize nachgedacht. Hier bietet die ökonomische Theorie eine Reihe an Möglichkeiten: Lotterien, Prämien, mehr Freiheiten für Geimpfte. Untersuchungen zeigen, dass man mit hoch genug angesetzten finanziellen Anreizen Impfquoten von bis zu 90 % erreichen kann. Je langsamer sich das Virus unter den Kindern und Jugendlichen ausbreitet, weil die Erwachsenen geimpft sind, desto mehr gewinnen wir als Gesellschaft sowohl in Bildungsfragen als auch bei der Eindämmung der Infektionszahlen mit schwerem Krankheitsverlauf.

Erschienen in der Wiener Zeitung am 10. September 2021 
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