Policy Note 44: Vom volkswirtschaftlichen und persönlichen Wert der Kinderbetreuung

Einige Fakten hat uns die Corona-Krise eindrucksvoll gelehrt. Erstens, die häufig angezweifelte Alltagstauglichkeit von Mathematik im Schulunterricht als Beitrag, um etwa Exponentialfunktionen zu verstehen. Zweitens, dass eine Welt ohne Unternehmen und ohne Wachstum alles andere als erstrebenswert ist. Und schließlich, und das ist das Thema dieser Policy Note, dass institutionelle Kinderbetreuung und das Schulwesen wichtige Aufgaben in unserer Gesellschaft übernehmen, auch wenn diese erst dann geschätzt werden, wenn sie, wie zuletzt im Lockdown, geschlossen bleiben.

Institutionelle Kinderbetreuung ist aber nicht nur dann wertvoll, wenn Eltern im Home Office zwischen Arbeit und Schule jonglieren. Sie bringt eine Reihe von positiven Effekten mit sich. Erstens, so findet die ökonomische Literatur, wirkt institutionelle Kinderbetreuung positiv auf die Arbeitsmarktbeteiligung und die Löhne der Frauen. Allerdings kommt es dabei auf die genaue Ausgestaltung an, denn es wurde auch von gegenteiligen Ergebnissen berichtet. Zweitens hat Kinderbetreuung eine Reihe von positiven Effekten für die betreuten Kinder im späteren Erwachsenenleben: Dies gilt sowohl in Bezug auf den Bildungserfolg und die Erwerbsbeteiligung als auch in Bezug auf Leistungen der sozialen Mindestsicherung.

Es gibt trotz massiven Investitionen in die Kinderbetreuung in den letzten Jahren immer noch ein Problem, das die Arbeitseinkommen der Frauen beeinflusst. Solange Kinderbetreuung nicht auf einer Vollzeitbasis verfügbar ist, bleibt die Vollzeitbeschäftigung der Frauen mit Kindern restringiert. Es kann sogar zu einem statistischen Paradox kommen, dass der Ausbau der Kinderbetreuung mit einem höheren Gender Gap in den Arbeitseinkommen verbunden ist, sofern dieser einen Wechsel von Inaktivität zur Teilzeit, aber nicht zur Vollzeit bedeutet. Der Effekt entsteht, weil inaktive Frauen gar nicht in der üblichen Gender Gap Statistik enthalten sind, Teilzeitbeschäftigte aber schon. Genau das ist in den letzten 50 Jahren zu beobachten: praktisch der gesamte Anstieg in der Kinderbetreuung ist auf Vormittagsbesuch zurückzuführen, während die Anzahl der Kinder, die Kindergärten ganztags besuchen, seit dem Jahr 1972 fast gleich geblieben ist.

Auch wenn die Ergebnisse keinen Effekt auf den Gender Gap zeigen, spricht dies nicht gegen den weiteren Ausbau der Betreuung. Es bietet aber einen Anlass, die genaue Ausgestaltung der Kinderbetreuung unter die Lupe zu nehmen und zu verbessern.

Wir zeigen in der Studie, wie wichtig es aus bildungspolitischer Sicht ist, dass Kindergärten finanziell erschwinglich und mit längeren Öffnungszeiten verfügbar sind. So identifiziert die Literatur den so genannten „Mathew Effekt“, wonach Kinder, die am meisten von der institutionellen Betreuung profitieren würden, gleichzeitig jene sind, die sie am wenigsten nutzen. Dies liegt zum großen Teil an kurzen Öffnungszeiten, da gerade Personen aus einkommensschwächeren Schichten aus beruflichen und privaten Gründen seltener eine Ganztags-Kinderbetreuung in Anspruch nehmen können.

Die Studie zeigt Wege, wie man die Öffnungszeiten erweitern könnte, ohne dass die Kosten wesentlich steigen müssten. Ein Schlüssel dazu sind lokale Kooperationen zwischen Gemeinden und Trägern sowie Anreize in der Finanzierung, insbesondere im Finanzausgleich, solche Kooperation auch vermehrt einzugehen. Gerade in den kleineren Gemeinden in Westösterreich wäre es möglich, die Öffnungszeiten fast kostenneutral zu erweitern, wenn gleichzeitig die häufig sehr kleinen Einrichtungen durch Kooperationen vergrößert würden. Dies impliziert, dass die in diesen Gemeinden schon siedlungsbedingt oftmals niedrigen Betreuungsschlüssel durch Kooperationen näher an den gesetzlichen Rahmen herangeführt werden. Am Beispiel Vorarlberg wird dargestellt, dass eine Erweiterung der Öffnungsstunden auf das Niveau von Wien, wo die Öffnungszeiten im Bundesländer-Vergleich am längsten sind, etwa 25 Millionen Euro im Jahr kosten würde. Gleichzeitig wäre es möglich, wieder 26 Millionen Euro weniger auszugeben, wenn die Betreuungsschlüssel an das im Bundesländer-Vergleich effizienteste Kärntner Niveau angepasst werden würden. Dabei ist ausdrücklich zu betonen, dass erstens nicht die gesetzlichen Schlüssel angehoben werden sollen – diese liegen international bereits recht hoch, und zweitens eine Erhöhung der Betreuungsschlüssel nur dann sinnvoll ist, wenn die Qualität der Betreuung nicht darunter leidet.

Wir zeigen, welche Anreizmechanismen in den Finanzierungs- und Fördersystemen sowie in den darin implementierten Anforderungen an die Träger angepasst werden sollten, um die Effizienzpotenziale zu realisieren. Die maßgeblichen Rahmenbedingungen sind zwischen den Bundesländern zunächst sehr heterogen. Weiterhin wird ein großer Teil der Kinderbetreuung aus den Budgets der Gemeinden und damit außerhalb der ursprünglich gewünschten Aufgabenorientierung finanziert. Die Förder- und Beitragssysteme des Bundes und der Länder sind hinsichtlich Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Einzelförderungen zu evaluieren. Es kommt derzeit vor, dass vorhandene und richtige Effizienzanreize wieder durch andere Förderungen ausgehebelt werden. Wenn Kooperationen angestrebt werden, so muss auch darauf geachtet werden, dass alle an der Kooperation beteiligten Akteure einen Nutzen davon haben, sonst wird eine Umsetzung politisch erschwert. Eine Reihe an „Best-Practice“ Beispielen solcher Kooperationen aus Vorarlberg und Oberösterreich zeigt, dass dies nicht nur theoretisch, sondern sehr wohl auch praktisch umsetzbar ist.

Hochqualitative Kinderbetreuung hat nicht nur in der Corona-Krise eine große Bedeutung, sowohl für die Mütter, die durch Erwerbsarbeit etwa Altersarmut vermeiden können, als auch für die Kinder, die noch Jahrzehnte später davon profitieren. Um diese Potenziale zu realisieren, muss dieses Thema aber tatsächlich auch nach Bewältigung der Pandemie näher ins Zentrum der Politik rücken.